Aus "Psychologie Heute"
Die westdeutschen Medien haben seit 1989 ein scheinbar allgemeingültiges Wissen über die Ostdeutschen verbreitet - und damit die Einheit in den Köpfen verhindert.
Der Ostdeutsche ist immer noch der andere. So jedenfalls wird er von west-deutschen Medien bis heute wahrge-nommen und präsentiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Medienanalyse, die von Historikern, Soziologen, Kommu-nikations- und Sozialwissenschaftlern aus Jena, Leipzig und Wien durchgeführt wurde. Die Forscher analysierten vor allem die überregionalen Medien: Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Die Zeit taz und das ARD-Magazin Kontraste.

Zu Zeiten der Montagsdemonstrationen wurden die DDR-Bürger noch als mutig, frech, provokativ, mündig und selbstkritisch beschrieben. Doch schon bald nach der Wende im Jahr 1989 zeichnete sich auch eine Wende in der Berichterstattung über die Ostdeutschen ab.

Allen voran stellte Bild die Menschen, die vor dem Mauerfall zu Tausenden aus der DDR nach Ungarn gereist waren, um von dort in die Bundesrepublik zu kommen, als fleißig, ehrlich, anspruchslos, dabei etwas rückständig dar; als verzweifelte Flüchtlinge, die das Mitgefühl und die Unterstützung der Westdeutschen brauchten. Während die Süddeutsche Zeitung zurückhaltend und neutral über die große Zahl der Flüchtlinge berichtete,

die es zu integrieren gelte und die Flüchtlinge als nüchtern und pessimistisch darstellte,
fiel beispielsweise die Berichterstattung im Spiegel über die ersten ostdeutschen Neubürger kälter aus. Das Nachrichtenmagazin prophezeite Verteilungskämpfe und
soziale Spannungen angesichts des „Flüchflingsansturms" auf die BRD.

Die ehemals „verzweifelten Flüchtlinge" wurden nun im Spiegel als gut ausgebildete Arbeits-kräfte mit Durchsetzungskraft, ja sogar mit Ellenbogenstärke dargestellt, deren Bescheidenheit nur vorgetäuscht sein könnte. Schon jetzt würden die „Neubürger" die sozialen Sicherungsnetze des Westens ausnutzen und sich erst mal krank melden, um mehr Geld zu bekommen.

Dieses mediale Bild der geflüchteten Ostdeutschen wurde offenbar auch auf die Menschen übertragen, die in ihrer Heimat, der ehemaligen DDR blieben. Fast durchgängig wird in den überregionalen Medien ein Bild des Ostdeutschen mit den Zuschreibungen entworfen: unsicher, unbeweglich, unzufrieden, nicht anpassungsbereit, fremdenfeindlich, ostalgisch. Ein Bild, das noch differenziert wird: Die Ostdeutschen kommen mit der
Marktwirtschaft und Demokratie nicht zurecht, mit Geld können sie nicht umgehen,
und letztlich sind sie auch noch undankbar.

Als gegen Ende der 1990er Jahre abzusehen war, dass die wirtschaftspolitischen Konzepte für den „Aufbau Ost" kein zweites Wirtschaftswunder bewirken würden, ist in den westdeutschen Medien wieder eine Wende in der Be-richterstattung über die Ostdeutschen zu beobachten. Wurden die negativen Eigenschaften der ehemaligen DDR-Bürger zuvor ihrer Sozialisation in einer Diktatur zugeschrieben, so werden die Ursachen nun in den Ostdeutschen selbst gesucht.

Die Autoren der Studie zeigen, wie die verschiedenen westdeutschen Medien dazu beitrugen, ein scheinbar allgemeingültiges Wissen über die Ostdeutschen und Ostdeutschland langsam im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe spricht von einer „Konstruktion des Ostdeutschen" in den Medien,
die nur einem Zweck diene: die Identität der Westdeutschen zu stärken und die Ostdeutschen als die anderen darzustellen. Das Fazit der Wissenschaftler: Die innere Einheit bleibt weiter ein Postulat.

■ HELGA LEVEND

Thomas Ahbe, Rainer Gries, Wolfgang Schmale (Hg.): Die Ostdeutschen in den Medien - Das Bild von den Anderen nach 1990. Leipziger Universitätsverlag 2010