Von Bert Hellinger - Konzept und Praxis der systemischen Psychotherapie - Aus dem Buch "Zweierlei Glück"
Wenn ein Ausgleich Zwischen Eltern und Kindern nicht möglich ist
Der bisher beschriebene Ausgleich von Nehmen und Geben ist nur unter Ebenbürtigen möglich. Zwischen Eltern und Kindern ist das anders. Kinder können Eltern nichts Gleichwertiges zurückgeben. Sie möchten es gerne, können es aber nicht. Es herrscht ein nicht aufhebbares Gefälle von Nehmen und Geben

Zwar bekommen Eltern auch etwas von ihren Kindern und Lehrer etwas von ihren Schülern, das Ungleichgewicht wird dadurch aber nicht aufgehoben, sondern nur gemildert. Den Eltern gegenüber bleiben die Kinder immer in der Schuld, und daher kommen sie auch nicht von ihnen los.

So wird die Bindung der Kinder an die Eltern durch das Bedürfnis nach Ausgleich, gerade weil es unerfüllbar bleibt, zusätzlich gefestigt und gestärkt. Die andere Wirkung ist, dass die Kinder später aus der Verpflichtung herausdrängen, und das hilft dann bei der Trennung von den Eltern. Wenn einer etwas nicht ausgleichen kann, drängt er weg.

Der Ausweg ist, dass Kinder das, was sie von den Eltern bekommen haben, weitergeben, und zwar in erster Linie an die eigenen Kinder, also an die nächste Generation, oder in einem Engagement für andere. Wer diesen Ausweg wahrnimmt und weitergibt, kann viel von den Eltern nehmen.

Was zwischen Eltern und Kindern und zwischen Lehrern und Schülern gilt, das gilt auch sonst. Wo immer ein Ausgleich durch Zurückgeben und Austausch nicht (mehr) möglich und angemessen ist, können wir uns von Verpflichtung und Schuld doch noch entlasten, wenn wir von dem Empfangenen weitergeben. So fügen sich alle, ob sie nun geben oder nehmen, der gleichen Ordnung und dem gleichen Gesetz.

Börries von Münchhausen beschreibt das in einem Gedicht:

Der goldene Ball

Was auch an Liebe mir vom Vater ward,
Ich hab's ihm nicht vergolten, denn ich habe
als Kind noch nicht erkannt den Wert der Gabe
und ward als Mann dem Manne gleich und hart.
Nun wächst ein Sohn mir auf, so heiß geliebt
wie keiner, dran ein Vaterherz gehangen,
und ich vergelte, was ich einst empfangen,
an dem, der mir's nicht gab - noch wiedergibt.
Denn wenn er Mann ist und wie Männer denkt,
wird er, wie ich die eignen Wege gehen,
sehnsüchtig werde ich, doch neidlos sehen,
wenn er, was mir gebührt, dem Enkel schenkt. -
Weithin im Saal der Zeiten sieht mein Blick
dem Spiel des Lebens zu, gefasst und heiter,
den goldnen Ball wirft jeder lächelnd weiter,
- und keiner gab den goldnen Ball zurück!